c Maja Argakijeva
Amateur in Skopje
Ankunft in Skopje. In der Nacht. Wegen overbooking. In Luxemburg, zehn Stunden Wartezeit. Goran Golubovski vom Verlag Ars Lamina wartete in der Halle. Alexander der Große thronte neben der Rolltreppe. Nett, sehr nett war Goran. Zuvorkommend und genauso müde wie ich. Die Kirche im Bau, gegenüber dem Hotel Russia? Ja, ja, Kirchen würden immer noch gebaut in Mazedonien. Mit staatlicher Hilfe, sogar. Ein christlich-orthodoxer Bau, mit hohen Bögen und eindrucksvollen Rundungen entlang der Fenster.
Das Interview im Frühstücksfernsehen begann gegen acht. Wir hatten Zeit, die Journalistin, die Übersetzerin und ich, so war es mir vorgekommen. Wir plauderten über Amateur. Taten es in beachtlicher Überlänge, so wurde mir später erzählt, vor einem Dekor mit Vasen und Blumen auf Regalen. Eine Livesendung wäre es gewesen.
»Bitte?«
»Auf die Hand.«
»Ich unterschreibe doch nicht auf einen Handrücken!«
»Die Kids möchten's aber so von Ihnen haben.«
»Sollen das Buch lesen.«
»Zuerst die Unterschrift. Später das Buch.«
Ich war überrascht. Die Kids hocherfreut. Die Haut verzog sich, sprang zurück. Ich blickte auf. Das Mädchen prüfte genau. War zufrieden. Wir posierten zusammen fürs Foto. Eine liebenswürdige Bande. Die Internationale Buchmesse in Skopje präsentierte sich lebhaft und laut und vielfältig. Reservierte der Literatur für Kinder und Jugendliche breite Flächen und bunte Stellwände. Historische und aktuelle Ausgaben über die Geschichte Mazedoniens waren über die gesamte Messe verteilt. Ich entschied mich für The creation of the modern Macedonian State und entdeckte Über makedonische Angelegenheiten von Krste Petkov Misirkov, das mir als eines der bedeutendsten, historischen Bücher, auch zur Sprachgeschichte, empfohlen wurde. Und Wegbereiter der Unabhängigkeit des Landes war. Die großen Klassiker der Weltliteratur waren auf englisch übersetzt oder in mazedonischer Sprache neu aufgelegt.
Amateur fand sein Publikum, seine Gesprächsrunden, die Signierstunde. Ars Lamina hatte sich Mühe gegeben, Banner, Durchsagen, screens, Arrangements der Exemplare auf Tischen...
»Hallo, ich habe Sie heute Morgen im Fernsehen gesehen.«
»Ja, klar, es war zu lang das Interview. Fanden Sie nicht?«
»Nö.«
Ich war beruhigt. Es folgten Fotosessions, weitere Interviews und Casablanca, gleich nebenan, das Restaurant, das ein echtes Highlight bereithielt: ein Plausch mit Paskal Gilevski, dem Übersetzer zahlreicher Gedichte von Anise Koltz.
»Da staunen Sie, nicht wahr? Sie kennen doch sicher Anise Koltz?«
»Ich werde ihr einen schönen Gruß von Ihnen ausrichten. Und das selfie mailen.«
Es war eine vernünftige Antwort, fand ich.
»Ja, ja, tun Sie das.«
Die Begegnung mit dem langjährigen Verbündeten des Poesietreffens von Struga und seinen Freunden war liebenswürdig und aufschlussreich. Ich lernte sowohl den Autor kennen als auch den Übersetzer von Werken zahlreicher französischer Meister ins Mazedonische, darunter Victor Hugo, Voltaire, Verlaine u.a.
Auf unserem Tisch waren Tomaten angerichtet, Paprika, Zwiebeln und einige Blättchen Sellerie zu Schafskäse. Selten zuvor hatte ich Gemüse gegessen, das so ausgeprägt nach Gemüse schmeckte, nach frisch gepflückt und zubereitet, mit Olivenöl, es duftete nach Landschaft und Sonne und stammte aus lokalem Anbau. Exportieren würde man nur auf den Balkan. Vielleicht rollte auch ein Zug mit Gemüsekästen bis nach Nürnberg. Wenn ich also daran interessiert wäre, ich sollte Bescheid geben...Nun, ich habe mir den Geschmack ins Hirn tätowiert: ein reines Aroma, das alle Sinne belebt.
Der Besuch am Morgen hatte uns ins türkische Viertel geführt, in die engen Passagen der benachbarten, überdachten Markthalle, mit Blick manchmal, durch die Abdeckplanen, auf ein Minarett. Zwei Schritte weiter war es die Aussicht auf das hochaufragende Kreuz auf einem Bergkamm.
»Fragst du mal den Jungen, ob ich ihn neben seiner Glasvitrine fotografieren darf, so halb draußen, auf seinem Stuhl?«
Goran fragte. Danach bot der Junge uns Tee an. Die Katze, zusammengerollt auf der Bank, passte zur stillen Atmosphäre. Das Viertel war durchzogen von Gässchen, flankiert von windschiefen, teils noch leerstehenden Geschäftslokalen. Die Touristensaison hatte noch nicht begonnen. Was ich monatelang gesucht hatte, ein älteres Kabel für mein in die Jahre gekommenes I Pod: in einem Lokal lag es auf der Theke. Neben hunderten Kabeln aller Gattungen, aller Größen. Nur Kabel. Nur ein freundliches Lächeln. Der Verkäufer war zufrieden, dass ich zufrieden war. 10 cent, das Kabel. Nicht zu glauben!
Die christlich orthodoxe Kirche The church of the Holy Savior, im höher gelegenen Teil des Viertels, war im 17/18 Jahrhundert underground eingerichtet worden, auf den Fundamenten einer älteren Kirchenanlage. Die Beleuchtung des Innenraums und der Ikonen war kunstvoll eingestellt, die atemberaubenden Holzschnitzereien vorzüglich in Szene gesetzt. Die biblischen Figuren im Kleinformat mitsamt ihren überreichen Details waren aus einem einzigen Walnussholz pro Paneele herausgeschnitten worden, in unendlicher Feinarbeit.
Die stone bridge und die new bridge überquerten den Fluss Vardar. Im modernen Teil der Stadt waren historische Figuren auf Sockeln gestellt, in überdimensionaler Größe: Alexander, der Hüne, heldenhaft sitzend auf einem gewaltigen Rappen, das Schwert hoch gezückt, die Gruppe der Gemidzhii Anarchisten am Flussufer vereint, allegorische Darstellungen von geschichtlichen Episoden... never seen before hatte ich ein solches Maß an Personenkult in einem Stadtzentrum. Die Gestalt von Mutter Teresa, gleichfalls in Bronze, mutete in ihrer devoten Haltung dagegen bescheiden an.
Die Gesprächsrunde auf der Büchermesse: die Besucher stellten Fragen. Wollten mehr wissen über den Schülerstreik in Luxemburg von 1971. Waren nicht verwundert. Sie wäre in Moskau gewesen, so die Dame aus dem Publikum, und hätte Prag erlebt. Wir diskutierten über die Rolle der damaligen Sowjetunion. Die Situation heute. Nicht einfacher wäre sie geworden. Und sie stimmte mir zu, dass die Westeuropäer es verpasst hatten, es verpassen mussten vielleicht, nach 89, mit Gorbatschow in eine neue, gesamteuropäische Friedens - und Wirtschaftsordnung zu treten.
Goran: Ob ich links von der Sozialdemokratie stünde?
»Ja, so würde ich es auch sehen.«
»Also left, not right?«
»Ja, ja, also yes«
Die Gespräche, small talks, Interviews und Diskussionen wurden auf englisch geführt. Ganz überraschend war der Besuch von Elena Nikodinovska, Ehrenkonsulin des belgischen Generalkonsulats in Skopje.
The Museum of Macedonian Struggle war eine raffiniert mit Licht und Schatten gestaltete Chronologie der mazedonischen Geschichte bis zur Unabhängigkeit, die 1991 erfolgte. Nur war es auch ein Wachsfigurenkabinett, in dem Helden, Widerstandskämpfer, Anarchisten und Partisanen, Besatzer und Unterdrückte zu einer Art schaurigem Spaziergang einluden, reich illustriert mit Gemälden, Dokumenten und Filmen, ausstaffiert öfters mit Revolvern, Kanonen, Gewehren und Säbeln. Dann, zwei Mädchen, die in ihren Trachten vor einem Grab hockten. Ich wartete auf den Totengesang. Kein Laut. Ich blickte zurück. Eine der Damen hatte den Kopf gehoben. Lächelte. Der Guide hatte es nicht bemerkt. Hatte jegliches Fotografieren im Museum verboten. Schummeln ging nicht. Der Guide passte auf. Der Durchlauf dauerte eine Stunde. Goran war genervt. Fand, dass es ein overkill war, in dieser kurzen Besuchszeit, von Informationen, von Namen und Daten. Ich stimmte ihm sofort zu.
Zum Abschluss des Tages, die Ars Lamina Runde im vorzüglichen Restaurant Windmill, etwas abseits vom Zentrum gelegen. Eine umsichtige Bedienung. Ein reiches Angebot an Fisch und an Gemüse, selbstverständlich. Und an Wein. Ars Lamina sei ein regionaler Player geworden, wurde mir erklärt, vereinigte mittlerweile Druckerei, Grafikdesign, Verlag und Promotion in einer Hand. Die Qualität mancher Bücher könnte meinen Verleger in Luxemburg interessieren.
»Eine Zusammenarbeit gefälligst?«
»Keine Ahnung. Ich werde es ausrichten.«
Darko, der Besitzer, stellte Fragen. Und aß manchmal einen Happen vom Teller. Nahm sich Zeit um meiner Antwort zuzuhören. Die Runde diskutierte, kommentierte den Geschmack des am Morgen gefangenen Fisches. Es gäbe ein sehr gutes Olivenöl, und das baue man in Albanien an. Sollte ich unbedingt probieren, wenn ich in Tirana wäre. Ich hatte Hunger. Sie lachten und diskutierten und plauderten und nahmen sich Zeit und tauschten sich aus über den roten barrique. »Trinkst du Rotwein zum Fisch?« Die Frage. Ich wurde rot. Der Weiße mundete herrlich zum Seebarsch. Die Runde um den Tisch zelebrierte das Dinner, als wäre es ein aus der Zeit meiner Großeltern geretteter Brauch, das gemeinsame Essen als wichtigsten Teil des Tages einzurichten. Das Selfie, dann. Alle zusammenrücken: »Geht doch«. So Darko.
Ich war nach Skopje eingeladen worden, um die von der Europäischen Kommission geförderte, mazedonische Übersetzung von Amateur auf der Buchmesse vorzustellen. Ich hatte mich gefreut auf die Begegnung mit den Leuten von Ars Lamina. Vorher die mails, technisch, akkurat kommunikativ. Zum Abschied teilten wir uns die Freude und die Freundschaft.
Bilder auf der Buchmesse: c Maja Argakijeva
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