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Het Zwin

 

Het Zwin 

 

Mit E-tritt tratt zu Dünengras und Vogelflug 

 

 

Essay

 

1.

 

Sprache, das Schauen, das E-Bike, Fotoapparat und Stativ dabei, Lesen zwischendurch, die Sanddünen, durchwachsen mit jenem dunklen, harten Gras ... meinen persönlichen Trip zum Zwin, dem Vogelschutzgebiet an der Grenze zwischen Belgien und den Niederlanden hatte ich gedanklich vorbereitet. 

 

Das Projekt interessierte mich, seit Nanc und ich das nahe Knokke auserkoren hatten als gelegentlicher Ferienort mit den Kindern. Und diesen Ort als solo Ehepaar mit unseren Freunden weiterhin schätzten für sporadische Abstecher an die Nordsee. 

 

Ich ahnte, dass ich dabei war, eine Region erkunden zu wollen, die an die eigene Unentschlossenheit knüpfte zwischen Schreiben und Fotografieren. Vielleicht war die Absicht, ein reichlich dokumentiertes Gebiet neu zu entdecken, ein Trugschluss. Weil Koordinaten prinzipiell auf Landkarten stehen oder in geografischen Werken und ich dagegen vorhatte, sie im Sand zu erkunden. 

Dazu wuchs die Überzeugung, dass es ein Aufenthalt werden würde inmitten des Dilemmas zweier Sprachen, dem Luxemburgischen und dem Deutschen, derer ich mich liebend gerne bediene, die mir jedoch einen festen Aufenthalt in der einen stets vergällen mit der Verlockung der anderen. 

In dieser quälenden Suche nach einem Festpunkt entschied ich mich für das gute alte Tagebuch, die bewährte Begleiterin von Überlegungen, Feststellungen und Augenblicken, die geduldige Verwahrerin aller Querverweise zum Bild. 

 

Der folgende Essay wurde nach der Beobachtung von sich langsam entwickelnder Veränderungen in dieser Landschaft verfasst. Die Fotografien bleiben auch der Sprache verpflichtet. Beide bilden ein Ensemble, das aus beiden Perspektiven, so hoffe ich es, erfahren werden kann. 

 

 

 

2.

 

Beginn, erster Eintrag: 

 

Radeln, radeln, radeln, der Weg entlang des Kanals an der Zufahrtsstraße zu Cadzand-Bad ist angenehm, führt geradeaus, leicht bergab. Am Stoppschild, einige Minuten später: Beginnt mein Projekt tatsächlich an einer Wegkreuzung? Die Straße nach links führt nach Sluis. Der Name Retranchement steht auf dem rechten Hinweisschild. 

Das E-Bike, bepackt mit Stativ und Rucksack und Kamera mit Drahtauslöser, mit mir auf dem Damensattel, alles, was ich so brauche für die Aufnahmen, ist schwer: Ich steige mit dem falschen Fuß ab. Das E drückt gegen die linke Seite, drückt und zerrt. Ich halte dagegen und stürze ins Drahtgeflecht am Weidenrand. Und ich freue mich, dass es kein Stachelzaun ist, den ich um Gräben und Büsche wahrgenommen hatte. 

Ich ächze unter dem Radgestell: „Mensch, du solltest abnehmen!“ 

 

Radeln, radeln weiter und stehen bleiben diesmal auf der richtigen Sohle und schauen an den dunstigen Horizont. „Ach, Romantik, wie nah du mir doch bist in solchen Momenten!“ Der Wind weht kräftig. Baumschatten strecken sich und sie dirigieren den Blick ins Zentrum des Bildes: Blende 22, Zeit 0,30‘‘. Eine Palisade wuchtiger Kopfweiden steht vor dem Feld, erinnern an Jahrzehnte des Wachsens vor Furchen und Dung.

Der Wind ist störrischer geworden. Ich drehe das E auf Position ‚Turbo‘. Geht doch. Einige Kilometer weiter: Retranchement, das Dorf. Radeln entlang leuchtender Vorgärten. „Schauen, schreiben ... na los Alter, weiter, du hast nur einige Tage.“ Eine leere Terrasse lädt ein. Ordentliches Frühstück oder so. Man denkt über vieles nach während dem Surren der Radspeichen. 

Die Geschichte ist präsent. Überall. Soll auch in der Erde stecken, hatte ich gelesen. 

Die Wälle nahe dem Ort waren einst Teil einer Verteidigungslinie aus dem 80-jährigen Krieg entlang der Grenze zwischen den sieben Republiken und der unter spanischer Kontrolle stehenden Zone im Süden.

Ich besteige einen Wall. Kein Mensch in Sicht. Draußen, in der Landschaft stechen Pappeln ab und zu eine Naht. Ein Entenpaar sucht seine Route.

Ich bin der erste Besucher an diesem Morgen, ein Landschaftsspäher, ein Erkunder von Halm und Korn zwischen Küste und Flachland. Der trutzige Pfeil gegen den ehemaligen Feind ist grasbewachsen. Er ist sanft und abgerundet heute, erinnert an die Forts von Vauban in Luxemburg mit ihren wuchtigen, bemoosten Zacken, einst geschliffen gegen Spanier und Franzosen.  

Über den Wall führt ein Pfad. Ich stehe höher als die Landschaft, doch tiefer als die Arme der Windmühle. Sie ruhen. Der kalte Nord-Ost bläst pausenlos. Gemessene 5 Grad Celsius, gefühlte minus 3 unter stahlblauem Himmel. 

Ich bemerke eine Reihe von Tümpeln in der Senke vor privaten Gärten. Keine Ente, die vorbei paddelte und dem Bild auf die Wellen hülfe. Bleiben mir die Gräser, diese Wische und Rohre wie Wimpern. 

Keine Aussicht auf Regen. Dieser würde feine, dunstige Tonwerte in meine Bilder spulen. Sie wären näher an meiner Vorstellung des plat pays, näher an Jacques Brel und seinem berühmten Chanson, qui est le mien. 

Von Eroberung kann keine Rede sein. Ich bin der Gefangene dieses Landstrichs geworden, den der Wind ausdünnt. Die Landschaft zwischen Schauen und Schreiben ist nicht die meine. Sie ist nicht die heimatliche Haardt, nicht der Staebierg und nicht der Hessebierg zwischen Düdelingen und Rümelingen. Sie stellt sich mir entgegen, nicht als Feind, sondern als barsche Antwort. Auf meine Frage: „Könntest du nicht ein bisschen so sein, wie ich es gerne möchte? Schließlich bin ich deinetwegen angereist“, bleibt sie ein unterkühlter Raum. Verschließt sich jeder vorschnellen Sondierung durch einen Fremden, wie ich einer bin. Vielleicht erfüllen echte Historiker bessere Voraussetzungen. Sie suchen im Geheimen und forschen im Stillen und stürzen nicht mit dem E in eine Drahtumzäunung. 

Dabei, Retranchement will sagen sich zurückziehen, im Schutz der Wälle weiterleben, vor allem überleben. Ich suche Schutz inmitten der Felder neben einem Gehöft. Umgepflügte  Schollen erschweren jedes Weiterkommen zu Fuß. Ich balanciere auf den harten Erdwülsten. Neben dem Anwesen steht eine Ruine von Hitlers Atlantikwall. Die Mauern legen verrostete Eisenmatten bloß. Mächtig und verwittert ist dieser Stumpen, der seit dem Biss des Zerberus in der Erde stecken geblieben ist. 

 

 

3.

 

Radeln, radeln, tritt, tratt über den neu angelegten Deich entlang der 120 ha großen Zwinausdehnung. Der Meeresarm, der sie durchquert, reichte einmal bis ins Hinterland, bis Brugge. Damme gehörte dazu. Auch Sluis. Er verband die Stadt und die Orte mit der See, sorgte für Handel und Wohlstand. 

Beobachtungsplätze und Schautafeln säumen den Weg. Ich folge den zahlreichen Reifenspuren. Ich bin vorsichtig geworden. Knapp 15 km/Stunde zeigt das Digi am Lenkrad an. Bisher 25 km geradelt. Gute Performance, find ich. 

Der schmale Weg führt hinab in die Ebene. Die Gezeiten stehen auf Ebbe. Glitzernde Adern entleeren sich ins Meer. An einem Abhang erkenne ich eine längliche, schwer zu identifizierende Figur. Eine Riesenmuschel? Eine gewaltige Qualle, die austrocknen möchte in der Sonne? Hab mal gelesen, dass Quallen, besonders Nordseequallen, ihre Lebenszeit absichtlich verkürzen, indem sie den Strand vollquallen. Vom zarten Fadenwesen zum schleimigen, schwabbeligen Etwas werden möchten, um uns Menschlein klarzumachen, dass die Ozeane der Beginn allen Ursprungs waren. Dass wir den Lebensraum ihrer Bewohner zu schützen haben. Auch oder vor allem um der Schönheit einer Qualle willen. Die vormals ruhende Figur hat ihren Platz verlassen. Wo mag sie jetzt sein?

Ist sie zur Robbe geworden? Ich nähere mich vorsichtig. Auf 30 Meter schwabbelt tatsächlich eine solche über den Strand, schwabbelt und hüpfelt, robbelt hinein in den leichten Wellengang.

 

Der Sand bildet Furchen, hebt Buckel, krümmt Falten zu Runzeln, bildet zufällige Kontinente in Miniatur. Sie wachsen und zerfallen so langsam, dass Zeit bleibt. Die Flut liegt außen vor. Meine Schritte stanzen Gruben neben unzählige aufs Land gespülte Muscheln. Wie Knöpfe, die das Meer abwirft, wenn es seinen Arm aus der Ebene zieht, streuen sie verwirrende Koordinaten. 

An der Horizontlinie schwimmt ein Ungetüm vollbeladen mit Containern zum Hafen von Rotterdam. Ein Bild des Handels, stell ich mir vor, sicher ein Abkommen mit den Staaten, wie mit Harleys zum Beispiel oder mit Whisky oder noch mit kubanischen Zigarren, sanktionsfrei als U.S. Hommage an den Che. Schön wärs. 

 

Ich bemerke zwei Menschen, die am Rand einer ausgedehnten Lache erscheinen. Distanz ist faszinierend. Sie verändert alles, das Schauen, das Erleben, das Leben eigentlich immer und überall und verführt meist zu falschen Schlussfolgerungen: „Ich glaub, ich kenn die aus meinem Hotel, die beiden, Mann und Frau. Besetzen den Frühstücksraum immer präzise um halb neun. Lassen Krümel und Eierschalen auf der Tischplatte zurück.“ Doch die beiden Wanderer, die mir entlang der Lache entgegenkommen sind französischsprachige Männer, die sich an der Hand halten.

„Quel vent ce matin, n’est ce pas?“ 

 

4.

 

 

Neuer Eintrag ins Logbuch:

Hurra, eine hauchfeine Wolke zieht ein Band. Oder auch: endlich dreht der Wind von Nord-Ost auf Süd. Eine Wolke allein macht noch kein Bild. Doch, ein bisschen, ein ganz klein wenig verstärkt durch Light Room, wird dieses tiefenbetonter werden, nachher bei der Verarbeitung am Mac. Da bin ich mir sicher. Und es wird fülliger und körniger werden und der Stille der Landschaft eine ordentliche Statur verpassen. Warten wirs ab.

 

Das Hinweisschild verführt erneut in die Erinnerung. In Sluis hatten Nanc und ich im Schatten der Windmühle einmal zu Mittag gegessen. Waren entlang dem Wassergraben spaziert und hatten den Enten zugesehen. Charme familial à la sauce hollandaise. 

Sluis, jetzt: ein Abstecher mit dem Wagen. Kamera und Stativ im Kofferraum. Man weiß ja nie. Ich ärgere mich: Da möchte man korrekt sein und die Parkgebühr bezahlen. Die Bedienung des Ticketautomaten funktioniert nur zur Hälfte. Das Geld ist ab vom Konto, das Ticket bleibt im Apparat. „Nicht gut. Einen Strafzettel werd ich nicht begleichen. Auf keinen Fall. Ich werd denen ein Foto vom Wind senden: Schönen Gruß an die Knöllchenverteiler.“

Der im 14. Jahrhundert errichtete Belfried Belfort des Rathauses ist geschlossen. Ebenso wie das Innere der nahen Kirche. Eine Marienfigur wartet in einer Nische am Eingang. „Heilige Maria, Trösterin von uns Betrübten, die wir vor dem abgesperrten Kirchenraum stehen und im ungünstigsten Fall warten müssen bis zum Abschluss der Renovierungsarbeiten im nächsten Herbst: Bitt für uns.“ 

Sluis, das sind gleichfalls Erotikshops an einem der Flaniergässchen. Rosa und violett leuchten die Schlünde zwischen DVDs und Glitter, blecken die Angebote von E Peitschen und E Dildos neben den neuesten Instrumentarien, garantiert Sadomaso genormt, aus purem Volt.

Sluis, das ist auch ein leicht überteuertes Pflaster, ist freundliche Bedienung. Als Eintagstourist möchte man umsorgt und befragt werden „Mijn Her?“ „No problem, you may try this shirt and this one and this one too. Too large? Oh! “ Ja, es ist zu weit, das Hemd, leider, das hübsche, geblümte, dazu kurzärmlig. Ich mag keine kurzen Ärmel. Punkt. Ich komm mir so gekürzt vor, so halb und halb, ein Hemd und doch kein Hemd. Passt zum Zwin, geb ich zu. Ich mag seit jeher lange Ärmel. Mit Manschetten, die man zurückschlagen kann. 

 

Zwin, ich liebe deine Unebenheiten, die mich ans Drahtgeflecht stürzen und nach Sluis locken. Ich liebe das Fallen aus heimischen Fluren in neue Gefilde. Ich möchte nicht wissen, ob ich zu versinken drohe, im eigenen Unvermögen zu schreiben und gleichzeitig zu bildern. Ich sehe eine Landschaft in Gedanken vor mir. Orientiere mich am Flug der Vögel und am Schwärmen ihrer Schreie. Sie spannen den Wind, der knufft und kauert zwischen den Dünen, wie eine Möwe, startklar für den Fischfang.

 

 

5.

 

Die Einträge ins Tagebüchlein summieren sich. Radeln langsam jetzt im Tritt Tratt über die Deichkrone von Cadzand-Bad zum lang gestreckten Gebäude des Zwin-Schauhauses. In Kurzfilmen unternehmen Menschlein erste Flugversuche. Versuchen es den Vögeln gleichzutun, mit breiten Schwingen aus Holz, klipp klapp, klipp klapp mit Kästen aus Federn, schwing, schwing, schwing mit einem urkomischen Getriebe aus Satteln und Ketten und sie laufen den Hügel hoch und sie laufen ihn wieder hinunter und möchten abheben und schweben, halleluja, und die Menschlein fallen und stürzen und krachen mitsamt ihrem Geschirr vornüber in den Sand. 

Storchenpaare gleiten mit breiten Flügeln auf Räder zu, die auf Masten geschraubt wurden. Diese laden zum Nestbau ein. Manchmal dauert es bis zu einer halben Stunde, ehe die eleganten Tiere aus den nahen Polderwiesen zurückkehren. Lautes Klappern mit den Schnäbeln kündigt ihr Kommen an. Warnt mich, den im Gestrüpp kauernden Amateur, dass sich vielleicht eine spektakuläre Aufnahme hinbekommen lässt: Storch im Anflug, elegante Landung gegen blauen Himmel mit Mond oder so ähnlich. Einfacher ist ein Schnappschuss aus dem Storchenbeobachtungsturm, der nah am ersten von fünf Masten steht, dazu in vorteilhafter Höhe. Sie tun mir den Gefallen, die beiden gefiederten Haken auf Stelzen, sie landen, schieben und arrangieren sich in Pose auf dem Rad, schnäbeln hier und schnäbeln dort, können sich nicht entscheiden, stöckeln, schütteln die Flügel bis die Rollenverteilung in der Partnerschaft klar geworden ist.

 

 

6.

 

Gehen jetzt über die Krone mit dem E an der Hand. Schafe stöpseln an den Deichhängen. Der Campingplatz, Straßen, Wege, Kanäle und Baumaschinen bilden nach Osten eine Ebene von nützlichen Gebrauchsanweisungen, die es zu studieren gälte, wollte ich nüchterner schreiben, weniger eingesponnen in eine Erwartung von Nebel und melancholischem Regen. 

12 Grad Celsius, gefühlte 8. Windstärke knapp an der steifen Brise. Draußen auf den Feldern hüllen sich winzige Traktoren in Staubwolken. 

Das Radeln ist schwerer geworden. 

 

Schottische Hochländer stehen in der Kleynen Vlakte. Die Landschaft beginnt sich zu verändern. Eine weitere Palisade von diesmal rasierten Kopfweiden führt mich zu den Zwindünen. Im grau melierten Gestrüpp über dem Sand spinnt das Sonnenlicht. Es muss beeindruckend sein, wenn die Knospen der Hundsrosen und des Hartriegels, die so farbig blühen im Besucherkatalog, aufbrechen, das Sternmoos zu sehen ist, der Sommerwurz Nelkenduft verströmt. Faszinierend, wenn der struppige Pelz sich violett und gelb und rot färbt. Ich werd mir Zeit nehmen, später im Jahr, um diese Dünenlandschaft und nur sie schreib -und bildnah zu erleben. Makroaufnahmen können sehr reizvoll sein. Davon bin ich überzeugt. 

 

Am äußersten Zipfel des Fahrradweges aus Richtung Knokke, springt ein monumentales  Kaninchen mit dem Namen Hospitality seit Jahren über einen Sockel. Es hält sich im Sprung und hält die hohen Ohren steif und die Pfoten und verharrt in seinem monströsen Sprungkitsch wie eine Koordinate des schlechten Geschmacks am Rand von Ebbe und Flut. Ich steige vom Rad. Ich höre das Lachen einer Schar von Kindern, die sich im Sand verlaufen. Ich höre den Lehrer, seine Rufe, das Jauchzen und Schreien der Kids und das Klingeln der E-Biker, die aus dem nahen Knokke heranradeln. 

Das Gestrüpp trägt die Handschrift von Marguerite Yourcenar. Ihr Roman L’Oeuvre au noir spielt zum Teil vor dieser Kulisse aus Stacheln und Licht. Mein schlechtes Gewissen twittert: „Was, Banause? Du hast das Buch noch nicht gelesen? Du wirst es bestellen in den nächsten Tagen. Oder ich tret dich in den Arsch.“

 

 

7.

 

Zurück radeln nach Cadzand-Bad tratt, tritt, tratt über den Deich. Das E hat sich an meine Tritte gewöhnt. Wenig Batterieverbrauch. 45 km zurückgelegt bisher. Keine neuen Schrammen an den Händen dazukommen. Ich freu mich auf das Strandpavillon ‚ De Zeemeeuw ‘, die Einkehr zu köstlichem Chardonnay und Kabeljauwfilet nach getanem Erleben.

Einen Kilometer weiter: Die Panoramaplattform steht auf Pfählen. Zu ihrem Rund führen eine Treppe und ein Steg über Steine und Schlamm. Die Landschaft besteht hier nur aus Flachsein, nur aus Dehnung und Linie. Punkte stecken Pfützen ab. Töne knarren und krächzen, beschallen den Schlick, piepsen, klicken. Ich schaue und tue sonst nichts als an der Absperrung zu stehen und mir die Augen zu verbrennen an der Weite. 

Die Flut ist am späten Nachmittag angesagt. So gegen fünf, halb sechs. Das Wasser in der nahen Rinne steigt nicht. Fällt nicht. Ich beginne ein kurzes Gespräch mit zwei weiteren Besuchern. Tripple hin und her, eine Suche nach der besten Perspektive für spätere Aufnahmen. 

„Sehen Sie?“  

„Bitte?“

„Da! Da kommt sie!“

Das Wasser steigt unerwartet schnell. Fäden beginnen zu fließen, schwellen an. Sie strömen und drängen in die Niederung, fluten unaufhaltsam, münden in breite, offene Arme. Die Fläche wird zur Seenplatte an der Küste. Als ob die Genesis nur zum Zweck gehabt hätte, in diese Landschaft hinein den Wandel zu schreiben, den steten Wechsel ihrer Winkel und Schnittpunkte zur verlässlichen Größe zu erklären.

 

 

8.

 

Zwin ist ein Ort geworden, so scheint es, für die Alten, die Rentner, die aus dem Arbeitsprozess ausgeschieden sind und die sich in der weiten Stille des Ortes wiederfinden möchten.

Doch Zwin lädt gleichfalls ein, weil dieser Landstrich an der Grenze zwischen Belgien und den Niederlanden so vorzüglich hergerichtet wurde, zum Schutz der Brutgebiete für die unzähligen Vogelarten, für die Flora gleichfalls. Und ein ideales Beobachtungsgebiet für Ornithologen darstellt, die sich das Studium von Kopf - und Pfeif- und Tauchenten, von Bussarden, von Mauersegler, Alpenreiher und Bachstelzen auf die Optik ihrer Ferngläser geschrieben haben.

Es tut gut inmitten von Hetze zu einem neuen Weltkrieg an Grenzen zu denken, die überflüssig geworden sind. Die nur noch durch restaurierte Pfosten daran erinnern, dass sich einmal Geschichte, auch militärische an diesem Ort abgespielt hat. Und dass Menschen ungeachtet ihrer Nationalitäten sich zusammentun, um zu schützen, die Tierwelt, die Pflanzen, die Landschaft und somit auch sich selbst. 

 

Nur am Abend geschehen seltsame Dinge: Schwärme von Krähen oder Dohlen, aufgeregte Schatten schwingen sich Runde um Runde um die Häuser, suchen und suchen und schreien und krächzen und finden keine Ruhe. „Mr. Hitchcock, an sie muss ich denken, wenn ich an meinem Whisky nippe auf dem Balkon meiner Pension und beinahe das Gleichgewicht verliere, wenn ich den Schotten mitsamt Glas vom Tisch räume.“

 

Ein Ort, dieser Zwin, zwischen Sprache und Bild als vermeintliche Kapitulation der einen vor der angenommenen Allmacht der anderen. Passt gut, finde ich, zum Anfang. Sollte so niedergeschrieben werden ins Büchlein.

 

 

Cadzand-Bad, 

 

März 2022 

 2803 Wörter

18366 Zeichen 

 

 

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